“The Century-Long Challenge to Respond to Fukushima” in German | The Asia Institute

Lösungen für die nukleare Fukushima-Krise zu finden erfordert ein Umdenken unserer gesamten Ansätze in den Bereichen Wissenschaft, Social Media und öffentlicher Diplomatie.

Von Layne Hartsell und Emanuel Pastreich, 3. September 2013 (Übersetzung von Joachim Lohkamp)

Mehr als zwei Jahre, nachdem ein Erdbeben und Tsunami auf verheerende Weise auf ein japanisches Kraftwerk getroffen ist, ist die Atomkatastrophe von Fukushima eine der schwersten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit in der asiatisch-pazifischen Region, und der schlimmste Fall radioaktiver Verseuchung die die Welt je gesehen hat. Weiterhin tritt Strahlung aus dem schwer beschädigten Fukushima Daiichi Kraftwerk ins Grundwasser ein, und droht den gesamten Pazifischen Ozean zu verunreinigen. Die Aufräumarbeiten werden eine beispiellose globale Anstrengung erfordern.

Ursprünglich entwichenen die radioaktiven Materialien Cäsium-137 und 134, und zu einem geringeren Grad Iod-131. Die wahre langfristige Bedrohung kommt von Cäsium-137, das sich leicht vom Körpergewebe absorbiert wird – und mit seiner Halbwertszeit von 30 Jahren wird uns diese Bedrohung die kommenden Jahrzehnte begleiten. Aktuelle Messungen zeigen, dass austretendes Wasser auch zunehmend Strontium-90 enthält, ein noch weitaus gefährlicherer radioaktiver Stoff als Cäsium. Strontium-90 imitiert Calcium und wird leicht in die Knochen von Menschen und Tieren aufgenommen.

Die Tokyo Electric Power Company (TEPCO) hat vor kurzem bekannt gegeben, dass ihr das Know-how fehlt, um den Ausfluss von Strahlung ins Grundwasser und Meereswasser effektiv zu kontrollieren, und sucht nun Hilfe von der japanischen Regierung. TEPCO hat die Errichtung einer unterirdischen Barriere rund um das Kraftwerk durch Einfrieren des Bodens vorgeschlagen, um radioaktives Wasser daran zu hindern in den Ozean zu gelangen – ein Versuch der noch nie zuvor in einem Fall vom Austreten massiver radioaktiver Strahlung versucht wurde. TEPCO hat auch die Errichtung zusätzlicher Wände vorgeschlagen, da die bestehende Wand den etwa 400 Tonnen Wasser pro Tag die in das Kraftwerk eintreten nicht standhalten kann.

Doch selbst wenn diese Vorschläge zum Erfolg führten, würden sie keine langfristige Lösung sein können.

Ein neues Wettrennen ins All

Eine Lösung der Fukushima Daiichi Krise muss als eine eben solche Herausforderung gesehen werden wie in den 1960er Jahren einen Menschen auf den Mond zu senden. Diese komplexe technische Aufgabe erfordert konzentrierte Aufmerksamkeit und die Konzentration enormer Ressourcen über Jahrzehnte hinweg. Aber dieses Mal müssen die Anstrengungen international sein, da die Situation möglicherweise die Gesundheit von Hunderten von Millionen von Menschen bedroht. Die langfristige Lösung für diese Krise verdient mindestens genauso viel Aufmerksamkeit von Regierung und Industrie wie die Verbreitung von Atomwaffen, Terrorismus, Wirtschaft und Kriminalität.

Um das Fukushima Daiichi Problem lösen zu können werden die besten und hellsten Köpfe benötigt werden, um einen langfristigen Lösungsweg zu entwickeln der dann im Laufe dieses Jahrhunderts umgesetzt werden kann. Experten aus der ganzen Welt müssen ihre Erkenntnisse und Ideen einbringen. Sie sollten aus den verschiedensten Bereichen, Technik, Biologie, Demographie, Landwirtschaft, Philosophie, Geschichte, Kunst, Städtebau und vielen weiteren kommen. Sie werden auf mehreren Ebenen zusammenarbeiten müssen,um eine umfassende Einschätzung der Situation zu erarbeiten, wie Gemeinden wieder aufgebaut und Menschen umgesiedelt, das Austreten von Strahlung verhindert, sowie kontaminiertes Wassers und Boden entsorgt und wiederaufbereitet werden können. Sie müssen auch Wege finden, um den beschädigten Reaktor vollständig zu demontieren, obwohl diese Herausforderung neue Technologien verlangen kann die bislang und auf Jahrzehnte hinaus nicht verfügbar sein werden.

Ein solcher Plan erfordert die Entwicklung von beispiellosem Technologien wie Robotern, die in hoch radioaktiven Umgebungen funktionieren können. Dieses Projekt könnte die Phantasie der Innovatoren in der Robotik Welt entflammen und zivile Anwendungsmöglichkeiten bestehender militärischer Technologie ermöglichen. Verbesserte Roboter Technologie würde die tragischen Szenen alter Menschen und anderer Freiwilliger unterbinden, die die Reaktoren auf eigene Gefahr für ihr Leben betreten.

Die Katastrophe von Fukushima ist eine Krise für die gesamte Menschheit, aber es ist eine Krise, die als Chance zur Erschaffung globaler Netzwerke für eine beispiellose Zusammenarbeit dienen kann. Gruppen oder Teams könnten durch ausgefeilte Computertechnologie unterstützt werden und damit beginnen die immensen Probleme der andauernden radioaktiven Verschmutzung in praktikable Arbeitspakete aufzuteilen. Dann können Experten auf diese Arbeitspakete eingehen um ihre besten Empfehlungen und einen konkreten Aktionsplan zu empfehlen. Der Aufwand kann sich auf die Präzedenzfälle des Intergovernmental Panel on Climate Change stützen, muss aber erheblich weiter reichen.

In seinem Buch Reinventing Discovery: The New Era of Networked Science, beschreibt Michael Nielsen die Prinzipien der vernetzten Wissenschaft, die in einem beispiellosen Ausmaß angewendet werden kann. Die Erkenntnisse dieses Ansatzes können auch für andere langfristige Programme wie die Bereinigung der BP Deepwater Horizon Ölpest im Golf von Mexiko oder die globale Antwort auf den Klimawandel verwendet werden. Die kollaborative Forschung zu Fukushima sollte in einem sehr großen Maßstab stattfinden, und größer angesetzt werden als für die Sequenzierung des menschlichen Genoms oder für die Wartung des Large Hadron Colliders.

Und schließlich geht hiermit die Möglichkeit einher, das Feld der Öffentlichen Diplomatie in Reaktion auf diese Krise völlig neu zu entdecken. Öffentliche Diplomatie könnte aus ihrer Ecke mehrdeutiger Anstrengungen nationaler Regierungen hin zu einem ernsthaften Forum für Diskussion und Aktion in internationalen Fragen führen. Während Öffentliche Diplomatie durch die Erfahrung von Fukushima ihren Reifeprozess durchläuft, können wir neue Strategien für die Verbindung von Hunderttausenden von Menschen auf der ganzen Welt nutzen um auf gemeinschaftliche Bedrohungen eingehen zu können. Eine Idee aus der vernetzten Wissenschaft aufnehmend, könnte Öffentliche Diplomatie als eine Plattform für ernsthafte, langfristige internationale Zusammenarbeit für kritische Themen wie Armut, erneuerbare Energien und Umweltschutz dienen.

Ähnlich könnte diese Krise als Anstoß dienen, das Social Networking seinen Weg dahin findet wozu es ursprünglich gedacht war: Menschen zu helfen, ihre Kompetenzen zu verknüpfen um gemeinsame Probleme zu lösen. Sozial Media könnte weniger dazu verwendet werden um Fotos von Latte Macchiato und überfütterten Katzen zu teilen, sondern vielmehr als ein wirksames Mittel zur Beurteilung der Genauigkeit von Informationen, Austausch von Meinungen zwischen Experten und einen allgemeinen Konsens zu bilden, sowie der Zivilgesellschaft die Möglichkeit zur Mitbestimmung zu öffnen. Mit der Einführung der Social-Media-Plattform als adäquater Peer-Review – wie von der Peer-to-Peer Foundation (P2P) befürwortet – könnte Social Media eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Krise von Fukushima spielen. Als einer der führenden Experten in der P2P-Bewegung, schlägt Michel Bauwens in einer E-Mail vor dass “Peers bereits in der Nutzung von Wissen und auch in der Produktion auf dem Niveau von Computern, Autos und schwerem Gerät auf der ganzen Welt konvergieren.”

Hier könnten wir die Antwort auf das Rätsel von Fukushima finden: das Problem für die ganze Welt zu öffnen.

Peer-to-Peer Wissenschaft

Fukushima zu einem globalen Projekt zu machen, das sowohl Experten als auch gewöhnliche Bürger in die Millionen oder zehn Millionen ernsthaft miteinbezieht, könnte etwas Hoffnung in der Welt geben, nachdem zweieinhalb Jahren von Unwahrheiten, Halbwahrheiten und konzertierte Anstrengungen zur Vermeidung von Verantwortung seitens der japanischen Regierung und internationalen Institutionen. Wenn besorgte Bürger aller Ländern Einsicht in die Daten hätten und ihre Vorschläge online einbringen könnten, könnte dies eine neue Transparenz in der Entscheidungsfindung und ein Gedeihen wertvoller Erkenntnisse mit sich bewirken.

Es gibt keinen Grund, warum detaillierte Informationen über Strahlungsemissionen und den Zustand der Reaktoren nicht in ausreichendem Detail öffentlich zugänglich sein sollten, um die Neugier eines ausgebildeten Kernkraftwissenschaftlers befriedigen zu können. Wenn die Frage, was als nächstes zu tun ist auf dem Konsens von Millionen von besorgten Bürgern gründet, die sich bei dem Versuch das Problem zu lösen engagieren, haben wir ein konstruktive Alternative zur Geheimhaltung, die bislang dominiert. Könnte unsere Zusammenarbeit bei der Lösungsfindung zu Fukushima Aufruf sein, über die bestehenden Hindernisse zur Nutzung unserer kollektiven Intelligenz über die Bedenken nationaler Grenzen, Firmeneigentum und geistigem Eigentum hinwegzugehen?

Ein Projekt, um Sterne im gesamten Universum zu klassifizieren hat gezeigt, dass, wenn Aufgaben sorgfältig aufgebrochen werden, es möglich ist, für Laien eine wichtige Rolle bei der Lösung technischer Probleme zu spielen. Im Fall von Galaxy Zoo kann jeder, der interessiert ist, sich qualifizieren, um Online zu gehen und verschiedene Arten von Sternen die sich in fernen Galaxien befinden zu klassifizieren und die Informationen in einer Datenbank einzugeben. Dies ist alles Teil einer massiven Anstrengung, die äußerst erfolgreich gewesen ist und gezeigt hat, dass es Aspekte der wissenschaftlichen Analyse gibt, die keine Promotion erfordert um unser Wissen über das Universum zu erweitern. Wenn im Fall von Fukushima ein gewöhnlicher Mensch jeden Tag online Satellitenaufnahmen untersucht, kann er oder sie leichter ein Experte sein um ungewöhnliche Ströme radioaktiven Materials zu identifizieren als ein Professor es könnte. Es gibt eine riesige Menge an Informationen, die eine Analyse im Zusammenhang mit Fukushima erfordert, und derzeit bleiben diese Informationen praktisch unanalysiert.

Eine wirksame Reaktion auf Fukushima muss sowohl allgemeine als auch spezifische Perspektiven aufnehmen. Zunächst erfordert es eine sorgfältige und anspruchsvolle Festlegung von Prioritäten. Dann können wir Konvergenz-Gruppen einsetzen, die, unterstützt durch fortschrittliche Computertechnologie und sorgfältiger Bemühungen um eine multidisziplinäre Integration, die dann auf die Krisen und Herausforderungen mit großer Wirksamkeit reagieren könnten. Konvergenz-Gruppen können auch als Brücke zwischen Experten und Laien dienen, und ein kritische Weiterbildung über Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern.

Auf Fukushima einzugehen hat mindest soviel mit der Aufklärung gewöhnlicher Menschen über Wissenschaft zu tun, wie hoch bezahlte Experten zu versammeln. Es ist nutzlos wenn Experten mit neuen Lösungen aufwarten, wenn sie sie nicht umzusetzen können. Aber die Umsetzung kann nur zustande kommen, wenn die Bevölkerung als Ganzes ein tieferes Verständnis für die Probleme hat. Groß angelegte vernetzte wissenschaftliche Bemühungen, die umfassend sind, werden sicherstellen, dass keine Segmente der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Wenn die bekannten Spieler (NGOs, Zentralregierungen, Unternehmen und Finanzinstitute) nicht in der Lage sind, um diese beispiellose Krise der Menschheit anzugehen, müssen wir Wege finden, um soziale Netzwerke zu bauen, nicht nur als ein Mittel, um innovative Konzepte zu entwickeln, sondern diese resultierenden Lösungen Nachdruck zu verleihen und umzusetzen. Dieser Prozess beinhaltet Institutionen unter Handlungsdruck zu setzen. Wir müssen echte Innovation nutzen, um den Weg zu einer effektiven Anwendung von Wissenschaft und Technologie für die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft zu ebnen. Es gibt keinen besseren Ort hiermit zu beginnen als das Internet und kein besseres Thema als der langfristige Umgang mit der Katastrophe von Fukushima.

Emanuel Pastreich ist der Direktor des Asien-Instituts in Seoul; Layne Hartsell ist wissenschaftlicher Mitarbeiter. Übersetzung von Joachim Lohkamp.

Fragen: Democracy & Governance, Umwelt, Gesundheit
Regionen: Asien und Pazifik, Japan
Tags: Klimawandel, Deepwater Horizon, Fukushima, Galaxy Zoo, Japan, Michael Nielson, vernetzte Wissenschaft, P2P, Peer-to-Peer-Foundation, Öffentliche Diplomatie, Öffentliche Gesundheit, Strahlung, Neuerfindung Entdeckung: The New Era of Networked Science, Wissenschaft, Social Media, tepco